Die Stunden der Wahrheit in den Alpen: Heute und morgen waren insgesamt 10.000 Höhenmeter zu bewältigen - nach den bisher 17 strapaziösen Etappen eine wahre Herausforderung. Schon zum Col de la Madeleine Duell der Favoriten. Dann wurde es kurz unübersichtlich, ehe am Schluss von allen Ausreißern nur der Australier Ben O’Connor übrig blieb und vor Pogacar mit fast 2’ Vorsprung gewann. Lipowitz bleibt nach schwerem Kampf Dritter; Roglic nach starker Leistung auf Platz 5. Dennoch war die Rechnung des deutschen Teams nicht aufgegangen. Morgen folgt der 2. Streich in den Alpen.
Der gestrige Sturz auf Höhe des „Teufelslappens“ forderte zwei Opfer: Ineos-Kapitän Carlos Rodriguez (IGD) und Cyril Barthe (GFC), so dass 162 Fahrer am Start in Vif standen. Girmay (IWA), ebenfalls in den Sturz verwickelt, konnte trotz Handgelenksschmerzen starten. Wegen des baldigen Zwischensprints in Rioupéroux ging das Team von Jonathan Milan sofort in die Offensive. Den Sprint gewann erwartungsgemäß Milan vor Girmay und Turgis (TEN). Wodurch der Mann in Grün seinen Vorsprung um 20 Punkte ausbauen konnte. Anschließend Fortsetzung der Etappe auf einem anderen Level.
Lenny Martinez Erster am Glandon
Der zweite Teil der Etappe begann mit einer Attacke von Tim Wellens. Im bereits leicht ansteigenden Terrain konnten vier Fahrer zu ihm aufschließen: u.a. Jonas Rutsch (IWA), der jedoch bald passen musste. Jetzt Wellens mit Lutsenko vorne. Erste Attacke von Primoz Roglic (RBH). Mit ihm Martinez im Bergtrikot. Das Peloton in Reichweite. Die Gruppe Roglic, mit Gall und Arensmann - holte die Spitze ein, so dass 15 Mann führten. Pogacar und Co. schienen mit der Situation einverstanden. Das Peloton wieder angeführt von Nils Politt. Auf den Gipfel des ersten der 2 Berge der Ehrenkategorie, dem Col du Glandon, sprintete (!) Martinez (+ 20 Punkte) vor Arensmann (15) und Jorgenson (12). Roglic begnügte sich mit Platz 8 und 2 Punkten.
Der Berg verzeiht nichts
In die Abfahrt fuhren 13 Mann 33’’ vor der Gruppe Martinez, 1’26’’ vor der Gruppe Jegat und 2’40 vor dem Peloton. Die Situation änderte sich permanent. Am Beginn des Aufstiegs zum Col de la Madeleine mit Jorgenson und Arensmann ein Duo 36’’ vor der Gruppe Roglic und 2’35’’ vor der Gruppe Martinez, die nur noch 20’’ vor dem Hauptfeld fuhr und gleich darauf eingeholt wurde. Martinez fiel immer weiter zurück. Dann meldete Radio Tour die Aufgabe von Enric Mas (MOV), noch zu Beginn in der Ausreißergruppe. Vorne wurde aus dem Duo ein Achter - mit Roglic und Gall. Das Feld kam mit Visma an der Spitze näher. Ausscheidungsrennen zwischen UAD und Visma - ein Helfer nach dem anderen fiel zurück. 6 km vor dem Gipfel vorne ein Sextett mit Roglic. Bei den Favoriten nur noch Kuss bei Vingegaard, Pogacar isoliert, Lipowitz musste die Favoriten vorerst ziehen lassen. Erste Attacke von Vingegaard, Pogacar am Hinterrad. Beide vorbei an der Spitzengruppe, bei der jetzt Jorgenson die Führung vor Vingegaard und Pogacar übernahm. Jetzt 8 vorne, gefolgt von Lipowitz. Den Madeleine eroberte Vingegaard knapp vor Pogacar. Lipowitz 30’’ später.
Die Luft wurde dünner
Wer dachte, das Ärgste hätten wir geschafft, sah sich 67 km vor dem Ziel getäuscht. Denn nach dem ersten Giganten und einer langen Abfahrt hieß es klettern hinauf zum noch größeren Giganten, dem Col de la Loze in 2.304 m Höhe. Vorne 7 mit den Favoriten und Roglic, gefolgt von den Solisten Arensmann (41’’) und Lipowitz (weitere 40’’) sowie der Gruppe Onley (weitere 2’30’’). Martinez lag bereits fast eine Viertelstunde zurück, das Gruppetto 23’. Noch 49 km, Lipowitz hatte Arensmann eingeholt und den Abstand zur Spitze auf 40’’ verkürzt. Im Tal attackierte O’Connor (JAY), gefolgt von Rubio (neuer Kapitän von Movistar) und Jorgenson (TVL), die übrigen 40’’ dahinter, so dass Lipowitz und Arensmann zu ihnen vorfuhren. Das Führungs-Trio baute den Vorsprung aus, weil Pogacar und Vingegaard offensichtlich keine nteresse hatten, die anderen mitzuziehen. Und wenn zwei sich streiten - freut sich der Lipowitz und attackiert. Als der 26 km lange Anstieg begann, lag er eine Minute hinter dem Trio um Jorgenson und 2’ vor der Gruppe Gelbes Trikot. Die das Tempo dermaßen verschleppte, dass die Gruppe Onley einfach an ihnen vorbeifuhr. Was Visma nicht recht sein konnte, konnte Pogacar doch wieder Mannschaftskameraden um sich scharen.
Der Mann mit dem Hammer forderte seine Opfer
Als O’Connor erneut beschleunigte, ging nur Rubio mit. Jorgenson wartete auf seinen Kapitän, so dass Lipowitz mit ihm ein neues Verfolgerduo bildete - mit wachsendem Abstand. Der Deutsche ständig in der Führung, der US-Amerikaner am Hinterrad. Taktik oder groggy - Jorgenson musste Lipowitz ziehen lassen. Das kleine Favoritenfeld mit Yates an der Spitze 3’ zurück. Jorgenson hatte sich tatsächlich verausgabt und konnte nicht mehr helfen. Auch Lipowitz hatte sich offensichtlich übernommen und wurde 8 km vor dem Ziel von der Gruppe Gelbes Trikot vereinnahmt. Vorne zog O’Connor (heute kämpferischster Fahrer) einsam seine Kreise, nachdem er auch Rubio abgeschüttelt hatte. Noch 5 km und Lipowitz konnte den Favoriten nicht mehr folgen. Souveräner Sieger wurde O’Connor vor Pogacar, der auch Vingegaard auf den letzten Metern noch auf Platz 3 verweisen konnte. Dann Onley, der zur Gefahr für Lipowitz wurde. Doch der biss sich durch und verteidigte sein Weißes Trikot und Platz 3 um 22’.