Von „Millimeterarbeit“, „Chaos“ und „Hölle“ sprachen Fahrer und Kommentatoren nach der gestrigen Etappe. Und heute? Erfreulicherweise waren bis auf Jasper Philipsen alle gestürzten Fahrer am Start. Alle Entscheidungen fielen auf den letzten Metern in Rouen. Pogacar siegte mit einem irren Antritt, der ihn noch an van der Poel vorbeiführte. Letzterer behielt das Gelbe Trikot.
Wie zu ahnen vom Start weg erste Ausreißversuche. Ein Duo setzte sich ab: Lenny Martinez (TBV) als Erster, sofort gefolgt von Jonas Abrahamsen (UXM). Bald gesellte sich Thomas Gachignard (TEN) zu ihnen. Das Trio rasch mehr als eine Minute voraus. Bei km 7 versuchte Kasper Asgreen (EFE) aufzuschließen, was ihm nach 15 anstrengenden Kilometern gelang. Der Abstand zum von Alpecin-Deceuninck und Mathieu van der Poel angeführten Feld 2 Minuten. Dahinter die Teams der Favoriten um Vingegaard bzw. Pogacar. Alles unter Kontrolle - denn mehr Abstand gewährten sie dem Quartett an der Spitze in der malerischen Landschaft und den hübschen Dörfern nicht. Zwischen beiden Gruppen eine Art Nichtangriffspakt. Vorerst. Für die gestern gestürzten Fahrer willkommene Gelegenheit sich weiter zu erholen, Verbände erneuern und Verletzungen erneut eincremen zu lassen.
Lange 4 gegen 177
Noch 100 km - unverändertes Bild: 4 gegen 177. Einzige Veränderung: weitere Teams zeigten sich vor der ersten Verpflegungskontrolle in den ersten Reihen. Signal spezieller Absichten im bergigen Finale? Statt weiter von Ost nach West wechselte der Kurs nach Les Andelys Richtung Norden. Hier begann der Vorsprung zu schmelzen. 10 km vor dem ersten Berg auf 1:29, um kurz darauf wieder auf 1:45 anzuwachsen. Das Spiel mit den vier Musketieren ging weiter; die Mannschaft des Gelben Trikots blieb vorne. Dennoch herrschte jetzt hier mehr Betrieb. Und die Nervosität nahm zu, so dass es zu Stürzen kam; zum Glück konnten alle weiterfahren. Die Spitzengruppe kletterte bereits die Côte Jacques Anquetil (4. Kategorie) hoch. Als Erster attackierte Martinez; den einen Punkt kassierte jedoch Asgreen. Etwas mehr als eine Minute vor dem jagenden Feld. Die Ausreißer lagen jetzt bereits über drei Stunden voraus. Defekt bei Alaphilippe unmittelbar vor dem Zwischensprint. Vorsprung der Vier noch eine halbe Minute. Abrahamsen attackierte und schnappte sich die Wertung in Saint-Adrien. Platz 5 ging an Milan, vor Girmay und Merlier.
Irres Tempo im Finale bergrauf und bergrunter und 100. Sieg für Pogacar
Die steile Côte de Belbeuf Kategorie 3 überfuhr Martinez nach großer Anstrengung als Erster 13 Sekunden vor dem Feld, das Wellens anführte und sich einen weiteren Punkt in der Bergwertung sicherte. Martinez suchte sein Heil in der Flucht. Währenddessen Sturz im Hauptfeld; nicht schlimm aber ärgerlich für die Betroffenen. 20 km vor dem Ziel in Rouen war auch der letzte Ausreißer gestellt. Den einen Punkt auf der Côte de Bonsecours (4. Kategorie) eroberte Johannesen. In der Abfahrt übernahm UAD das Kommando. Hinauf zur Côte de la Grand Mare (4. Kategorie) zunächst ADC vorne, dann wieder das Team von Pogacar. Erster Wellens mit einem weiteren Punkt. Attacke Visma vor der Rampe Saint-Hilaire. Buchmann verlor 7 km vor dem Ziel den Kontakt zur Spitze. Faszinierende Bergaufsprint der beiden Superfavoriten Pogacar und Vingegaard, die mit Vorsprung über die Rampe powern. Noch 5 km. Trotz ihrer Zusammenarbeit an der Spitze holten die Verfolger auf. Almeida machte zugunsten Pogacar den Unterschied. Während van der Poel alles alleine regeln musste, sparte Pogacar entscheidende Körner und siegte mit einer Länge vor dem Mann in Gelb und Vingegaard. Sein 100. Profisieg! Pogacar holt auch das Bergtrikot zurück, aber Tim Wellens wird es morgen tragen.