Nach der gestrigen Teampräsentation richten die 184 Fahrer ihre Aufmerksamkeit auf die Strecke, die sie bis zu ihrer Ankunft in Paris am 27. Juli erwartet. Zum Auftakt bietet eine 184,9 Kilometer lange Etappe mit Start und Ziel in Lille Métropole den besten Sprintern des Pelotons die Chance, zum ersten Mal in ihrem Leben das Maillot Jaune zu tragen: Girmay, Philipsen, Merlier, Milan und weitere träumen von diesem Moment. Etwas länger warten müssen wohl Etappenjäger wie Wout van Aert und Mathieu Van der Poel, die sich in der ersten Woche des Rennens wie schon bei den Klassikern ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern könnten. 49 Fahrer geben derweil in diesem Jahr ihr Tour-Debüt: Unter diesen „Neulingen“ werden insbesondere der Deutsche Florian Lipowitz und der Spanier Ivan Romeo im Fokus stehen.
Unter dem Motto „L’Avenir à Vélo” (Die Zukunft auf zwei Rädern) fand im Rathaus von Lille ein Vormittag mit Konferenzen und Diskussionen statt. Bewegt zeigte sich die Tour de France-Gemeinschaft vom Tod Jacques Marinellis, der 1949 sechs Tage lang das Gelbe Trikot trug.
SPRINTER IM RAMPENLICHT
Die flache Auftaktetappe und damit verbunden die Chance auf das erste Gelbe Trikot dieser Tour de France ist der Traum aller Sprinter. Der letzte Fahrer, der diese Gelegenheit ergreifen konnte, war Alexander Kristoff im Jahr 2020. Gerne erinnern wir uns auch an die Jahre 2013 und 2014, als Marcel Kittel in Ajaccio bzw. Harrogate ins Gelbe Trikot sprintete.
Viele Augen sind auf Biniam Girmay gerichtet, den Gewinner von drei Etappen und des Grünen Trikots im Jahr 2024. Obwohl er 2025 noch keinen Sieg errungen hat, bleibt der Eritreer optimistisch: „Mein Saisonstart war nicht perfekt, aber ich habe einige zweite Plätze belegt und fühle mich in guter Form, mehr oder weniger wie im letzten Jahr. Diese Etappe zu gewinnen wird nicht einfach, aber es ist ein Traum für mich. Und vielleicht habe ich auch die Chance, am Ende der zweiten Etappe in Boulogne-sur-Mer das Maillot Jaune zu tragen, die mir noch besser passt.“
Auch Jasper Philipsen ist mit seinem bisherigen Saisonverlauf nicht ganz glücklich, bleibt aber optimistisch: „Dies ist das erste Mal, dass das Gelbe Trikot wirklich mein Ziel ist, denn als ich 2019 zum ersten Mal teilgenommen habe, war ich noch sehr jung.“ Als seine Hauptkonkurrenten nannte der Kapitän von Alpecin-Deceuninck Jonathan Milan und Tim Merlier.
Letzterer kehrt zur Tour de France zurück, wo er bereits 2021 triumphierte. Dieses Mal trägt er das Trikot des Europameisters und hat seit Jahresbeginn bereits 10 Siege errungen: „Es stimmt, dass die erste Etappe mit viel Druck verbunden ist, deshalb versuche ich, nicht zu viel darüber nachzudenken.“
Debütant Jonathan Milan (7 Siege im Jahr 2025) weiß natürlich auch, was auf dem Spiel steht: „Das ist eine ganz neue Herausforderung für mich. Ich fühle mich nicht als Favorit für Samstag, da sind noch Tim und Jasper, aber ich kann mich auf eine hervorragende Vorarbeit verlassen. Wir werden versuchen, das Beste aus diesem Sprint um das erste Gelbe Trikot zu machen.“
MVDP – WVA: „MANCHE TAGE WERDEN SICH WIE EIN KLASSIKER ANFÜHLEN“
Die ersten zehn Tage der Tour 2025 mit vielen kniffligen und anspruchsvollen Etappenenden laden die besten Etappenjäger zum Angriff ein, allen voran Mathieu Van der Poel (Alpecin-Deceuninck) und Wout van Aert (Visma-Lease a Bike).
„Es gibt einige spannende Etappen mit vielen Möglichkeiten für unser Team“, freut sich der fliegende Holländer, der vier Jahre nach seinem denkwürdigen Erfolg in Mûr-de-Bretagne, der ihm auch das Maillot Jaune einbrachte, seinen zweiten Sieg anstrebt. „Bei den Massensprints setzen wir auf Jasper [Philipsen], und ich möchte ihm weiterhin helfen, die bestmögliche Position zu erreichen“, erklärte Van der Poel. „Und auf anspruchsvollen Etappen können wir beide Karten ausspielen. Wir werden Chancen haben, aber es gibt viele verschiedene Fahrer, die vorne mit dabei sein werden, darunter auch GC-Anwärter, die auch bei den Klassikern gut sind.“
„Ich bin mir ziemlich sicher, dass es sich an manchen Tagen wie ein Klassiker anfühlen wird“, bestätigte der neunmalige Etapensieger Van Aert. „Generell würde ich sagen, dass meine Chancen auf kräftezehrenden Etappen größer sind. Ich finde, dass innerhalb der Teams ein gutes Gleichgewicht zwischen unseren Zielen herrscht, und ich fühle mich auch unterstützt bei den Zielen, die wir mit mir bei dieser Tour de France verfolgen. Ich habe keine Angst vor Druck, denn der ist immer da, also spielt er keine Rolle.“
STARKE NEULINGE
Unter den 184 Fahrern, die bei der Tour 2025 an den Start gehen, sind 49 Neulinge. Bert Van Lerberghe (Soudal-Quick Step) ist der älteste unter ihnen, denn der Belgier fährt das größte Rennen der Welt nur drei Monate vor seinem 33. Geburtstag. Seine Aufgabe wird es sein, die Sprints für seinen Schulkameraden Tim Merlier vorzubereiten.
Am anderen Ende des Spektrums steht Ivan Romeo (Movistar Team) als jüngster Teilnehmer mit 21 Jahren, der nach seinen Siegen bem Critérium du Dauphiné und bei den spanischen Meisterschaften voller Vorfreude zu seiner ersten Grand Tour antritt. „Ich spüre keinen Druck: Radfahren ist für mich immer noch ein Spiel“, sagt er. „ Meine Prioritäten werden sein, zu lernen und meinem Kapitän Enric Mas zu helfen. Später werde ich, wenn ich kann, versuchen, einen Sieg aus der Ausreißergruppe heraus zu erzielen.“ Zwei Debütanten hatten im letzten Jahr solche Erfolge: Kevin Vauquelin und Remco Evenepoel. Die Franzosen Alex Baudin (EF Education-Easy Post) und Louis Barré (Intermarché-Wanty) gehören zu den „Neos“, die versuchen werden, ihnen nachzueifern.
Lidl-Trek bringt talentierte Debütanten wie Jonathan Milan und Thibau Nys mit. „Das wird kein Spaziergang“, rechnet der belgische Nachwuchsstar vor. „Ich werde versuchen, die Tour zu genießen und das Beste daraus zu machen – dem Team helfen, selbst ein paar gute Ergebnisse erzielen und nach Paris kommen. Allein schon die Tour zu beenden, wäre ein Schritt nach vorne in meiner Karriere. Im Moment gibt es noch viele Fragezeichen und Unbekannte. Ich bin aufgeregt, aber nicht so zuversichtlich, wie ich es mir für diesen Moment erhofft hatte.“
Florian Lipowitz, der in die Fußstapfen von Primoz Roglic tritt und bald das Ruder bei Red Bull-Bora-hansgrohe übernehmen soll, drückte seine Vorfreude auf den Rennstart aus. „Die Teilnahme an der Tour de France war mein großes Ziel für dieses Jahr“, sagte er voller Ehrfurcht in der Mixed Zone bei der Teampräsentation. „Alle haben mir gesagt, dass dieses Rennen etwas Besonderes ist, aber jetzt ist es unglaublich, all die jubelnden Menschen zu sehen, und ich kann es kaum erwarten, in die Berge zu kommen!“
STATSTIKEN
- Sechsundzwanzig Länder sind im Peloton vertreten. Frankreich hat mit 38 Fahrern das größte Kontingent, gefolgt von Belgien (29) und den Niederlanden (13). Deutschland schickt 10 Fahrer zu dieser Tour.
- Biniam Girmay (Intermarché-Wanty) aus Eritrea wird der einzige Afrikaner im Peloton sein. Luxemburg ist zum fünften Mal seit 2000 nicht vertreten. Umgekehrt erreicht Norwegen mit acht Fahrern seine Rekordbeteiligung aus dem Jahr 2023.
- Das Durchschnittsalter des Pelotons beträgt 28 Jahre und 343 Tage.
- Der jüngste Fahrer ist Ivan Romeo, der am Samstag beim Start in Lille 21 Jahre und 323 Tage alt sein wird. Er ist auch einer von 48 Anwärtern auf das weiße Trikot, das für Fahrer reserviert ist, die im Jahr 2000 oder später geboren sind. Remco Evenepoel ist mit 25 Jahren und 161 Tagen der älteste unter den jungen Fahrern.
- Der erfahrenste Teilnehmer ist Geraint Thomas (Ineos Grenadiers) mit 39 Jahren und 41 Tagen. Der Waliser wird zum 14. und letzten Mal an den Start gehen. Ihm folgen Ion Izagirre (Cofidis), Luke Durbridge (Jayco-AlUla) und Warren Barguil (Picnic-PostNL), die alle drei ihre 11. Tour bestreiten. Den Rekord hält nach wie vor Sylvain Chavanel mit 18 Teilnahmen.
- Die Fahrer mit den meisten Etappensiegen sind Tadej Pogacar (17), Wout van Aert und Jasper Philipsen (jeweils 9).
23 TEAMS IN ZAHLEN
- Im Jahr 2025 werden 23 Teams an den Start gehen, eines mehr als 2024. Ein Neuling wird sein Debüt geben: das Tudor Pro Cycling Team mit Julian Alaphilippe und Marc Hirschi. Die Veteranen sind Movistar (43. Teilnahme in Folge), Visma-Lease a Bike (42. Teilnahme) und Lotto (38. Teilnahme).
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Intermarché-Wanty hat mit einem Durchschnittsalter von 25 Jahren und 183 Tagen das jüngste Team. Der „älteste” Fahrer, Georg Zimmermann, ist erst 27 Jahre und 267 Tage alt – und hat bereits vier Touren hinter sich. Knapp dahinter liegt Picnic-PostNL mit einem Durchschnittsalter von 25 Jahren und 197 Tagen und fünf Debütanten in seiner achtköpfigen Mannschaft: Pavel Bittner, Tobias Lund Andresen, Sean Flynn, Tim Naberman und Niklas Märkl. Nur ein Team hat keinen „Neo“: XDS-Astana.
- Die Teams, deren Fahrer die meisten Tour-Teilnahmen vorweisen können, sind die beiden großen Favoriten: UAE Team Emirates-XRG (mit 36 Teilnahmen) und Visma-Lease a Bike (35). Dahinter folgt Cofidis (34), das mit einem Durchschnittsalter von 31 Jahren und 104 Tagen auch das älteste Team stellt.
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Der Erfolg des UAE Team Emirates-XRG bei der Tour 2024 spiegelt sich in der Stabilität seines Kaders wider: Sieben der acht Fahrer kehren zurück, nur Juan Ayuso wird durch Jhonatan Narvaez ersetzt. Umgekehrt haben drei Teams nur zwei Fahrer aus dem achtköpfigen Kader des Vorjahres behalten: Ineos Grenadiers (Carlos Rodríguez und Geraint Thomas), Lidl-Trek (Toms Skujins und Jasper Stuyven) und Soudal-Quick Step (Remco Evenepoel und Ilan Van Wilder).
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Fünf Teams im aktuellen Peloton haben bereits die Gesamtwertung gewonnen: Movistar und Ineos Grenadiers (7 Siege), UAE Emirates-XRG (3), Visma-Lease a Bike und XDS-Astana (2).
- Was Etappensiege angeht, dominiert Visma-Lease a Bike mit 72 Siegen vor Soudal-Quick Step (52) und Lotto (41). Uno-X und natürlich Debütant Tudor haben noch keine Etappensiege bei der Tour vorzuwweisen.
„L’AVENIR À VÉLO“: RUNDER TISCH FÜR EINE ZUKUNFT AUF ZWEI RÄDERN
Während die Fahrräder der Champions für das tägliche Radfahren genutzt werden, geht die Tour de France über den Wettkampf hinaus und wird zu einem starken Motor für Veränderungen. Diese Beobachtung war der Ausgangspunkt für eine Reihe von Gesprächen, die am Freitagmorgen im Rathaus von Lille stattfanden und an denen zahlreiche Vertreter von Institutionen teilnahmen, die sich für die Förderung von sanfter Mobilität, Tourismus, Solidarität oder Bildungsinitiativen engagieren.
In den verschiedenen Sitzungen wurden Themen wie die von den Städten umgesetzten Fahrradpolitiken erörtert. Der Bürgermeister von Lille, Arnaud Deslandes, betonte, dass das Label „ville à vélo” (Fahrradstadt) der Tour de France zur Entwicklung der Infrastruktur beiträgt: „Wir setzen uns für kontinuierlichen Fortschritt ein. So haben wir beispielsweise ein Zentrum für nachhaltige Mobilität geschaffen, und bei jedem Straßenumbau werden maximal 50 % der Fläche für Autos reserviert.”
Zum Thema Radtourismus reiste Franck Borel, Sportbeauftragter des Departements Vaucluse, nach Lille, um über die Auswirkungen der Tour-Etappen auf den Mont Ventoux zu sprechen: „Dieser Berg fasziniert die Menschen, und das liegt an der Tour de France. Er zieht jährlich 160.000 Radfahrer an. Wir haben auch eine 55 Kilometer lange Gedenkstrecke eingerichtet.”
„LA PERRUCHE“ IST WEGGEFLOGEN
Jacques Marinelli, der 1949 sechs Etappen lang das Gelbe Trikot trug, verstarb kurz vor dem Start der 112. Tour de France und sechs Monate vor seinem 100. Geburtstag. Er war nicht der älteste noch lebende ehemalige Spitzenreiter des Rennens – Antonin Rolland wurde letztes Jahr 100 Jahre alt –, aber er war derjenige, der das Gelbe Trikot vor der längsten Zeit getragen hatte (Rolland tat dies 1955).
Marinelli wurde am 15. Dezember 1925 in Le Blanc-Mesnil (Seine-Saint-Denis) geboren und wird als Sportler in Erinnerung bleiben, der sich später im öffentlichen Leben engagierte. Von 1989 bis 2002 war er Bürgermeister von Melun (Seine-et-Marne) und begrüßte in seinem letzten Amtsjahr den Start der letzten Etappe der Tour de France, dem Sportereignis, das ihn nie losließ, in seiner Stadt.
Von 1948 bis 1954 nahm er sechs Mal an dem Rennen teil, beendete es zweimal und wurde 1949 hinter den legendären Italienern Fausto Coppi und Gino Bartali Dritter in der Gesamtwertung. Als sehr gesprächiger Mann erhielt er während dieser glorreichen Tour den Spitznamen „la perruche” („der Sittich”). Er schrieb auch eine tägliche Kolumne in L'Équipe und gilt bis heute als Pionier auf diesem Gebiet. Nach dem Ende seiner Radsportkarriere eröffnete er ein Elektrofachgeschäft in Melun, gefolgt von weiteren Unternehmen, mit denen er sein Vermögen machte. Zu Lebzeiten wurden ein Sportkomplex, eine Straße in seiner Stadt und ein Radkriterium nach ihm benannt.